„Menschen in armen Ländern verkaufen ihr Getreide an den Westen, während ihre eigenen Kinder in ihren Armen verhungern. Und der Westen verfüttert es an
,Nutztiere‘. Nur damit wir ein Steak essen können? Bin ich der Einzige, der sieht, dass das ein Verbrechen ist? Jedes Stück Fleisch,
das wir essen, ist ein Schlag in das verweinte Gesicht eines hungrigen Kindes.“
Philip
Wollen, australischer Philanthrop und ehemaliger Vizepräsident der Citibank, 2012
Bei der Produktion tierlicher „Lebens“mittel handelt es sich um die wohl effektivste Form der Nahrungsmittel- und Ressourcenvernichtung. Ein großes Problem ist die damit einhergehende Wasserverschwendung: So fließt 70 % des gesamten Süßwassers in die Landwirtschaft, während etwa ein Drittel der Weltbevölkerung unter Wassermangel leidet. Bedenkt man, dass bei der Produktion von nur einem Kilogramm Rindfleisch mehr als 15.000 Liter (virtuelles) Wasser verbraucht werden, überrascht es nicht, dass durch eine fleischfreie Ernährung der momentane globale Wasserverbrauch halbiert werden könnte. Auch in anderen Tierprodukten stecken Unmengen von virtuellem Wasser – beispielsweise sind für einen Liter Kuhmilch im globalen Durchschnitt rund 1000 Liter Wasser erforderlich –, eine rein pflanzliche Ernährung birgt daher ein noch viel größeres Potenzial zur Wassereinsparung. Um ein einziges Kilogramm Rindfleisch zu erzeugen, werden außerdem bis zu 10 Kilogramm Getreide und/oder Soja als Futtermittel benötigt. Es muss also viel Energie in pflanzlicher Form aufgebracht werden, um wenig Energie in Form von Tierprodukten zu gewinnen.
Die Tierwirtschaft beansprucht insgesamt 30 % der globalen Landfläche und 70 % der globalen landwirtschaftlichen Flächen, die entweder als Weideflächen oder als Anbauflächen für Tierfutter verwendet werden, also nicht für den Anbau von Pflanzen genutzt werden können, mit denen Menschen direkt ernährt werden könnten.
Ohne gigantische Futterimporte aus Entwicklungsländern wäre die Produktion der in Deutschland und in anderen westlichen Ländern nachgefragten Mengen an Tierprodukten
überhaupt nicht möglich. Unser Konsum nimmt einer Milliarde Menschen in armen Ländern die Grundnahrung weg.
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„Ein Kind, das heute verhungert, wird
ermordet.“
Jean Ziegler, Soziologe und UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung
von 2000 bis 2008, im Jahr 2005
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Was die mit unserem Konsum einhergehende Ressourcenverschwendung bedeutet, die in der Landwirtschaft allen Ernstes als „Veredelung“ bezeichnet wird, macht
der
seit Ende Februar 2022 herrschende Krieg in der Ukraine auf drastische Weise deutlich: Infolge des Angriffskriegs Russlands fällt die Ukraine als „Kornkammer Europas“ aus, es wird also sehr viel
weniger Mais, Getreide etc. exportiert als sonst. Dadurch steigen die Preise und darunter leiden vor allem die ärmsten Länder der Welt, wie beispielsweise der Jemen und Bangladesch. Was wir im
Westen ganz konkret tun können, um hier etwas zu verändern, wird nun endlich auch von führenden Politiker*innen deutlich formuliert:
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„Weniger Fleisch zu essen, wäre ein Beitrag gegen Putin …
Grundsätzlich ist ein System nicht nachhaltig, in dem 60 Prozent
des Getreides in den Futtertrögen landen,
wie in Deutschland.“
Cem Özdemir, Ernährungs- und Landwirtschaftsminister,
im März 2022 im „Spiegel“
Kleine
Anmerkung hierzu: Auch wenn das Schlagwort immer „Weniger Fleisch!“ heißt, geht es hier natürlich auch um andere Tierprodukte. Auch Kühe und Hühner, die in erster Linie für Milch bzw. Eier gehalten
werden (letztlich aber natürlich auch als Fleisch im Supermarkt enden, wenn ihre Produktionsleistung nachlässt), bekommen Getreide etc. vorgesetzt, das damit nicht für die menschliche Ernährung zur
Verfügung steht.
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Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. Als Eltern, die ihre Kinder in einer Überflussgesellschaft erziehen, können wir uns kaum vorstellen,
was das bedeutet. Der ungesunde, ökologisch und sozial unverträgliche sowie ethisch nicht vertretbare Ernährungsstil, der in den Industrieländern von einer Mehrheit gepflegt wird,
kostet jedes Jahr mehrere Millionen Menschen (mehr als die Hälfte davon Kinder) in armen Ländern das Leben. Jede*r kann jeden Tag, mit jeder Mahlzeit, ein starkes Statement gegen die
Zustände abgeben, die eine solche Ungerechtigkeit zulassen. Durch den Umstieg auf eine Ernährung, bei der der unsinnige Umweg über
das Tier vermieden wird, könnte genug pflanzliche Nahrung freigesetzt werden, um die steigende Weltbevölkerung dauerhaft zu sättigen.
Was ein Wechsel hin zu einem stärker auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Lebensstil ganz konkret bewirken würde,
zeigt eine im November 2017 im Fachjournal Nature Communications veröffentlichte Studie, die keinen Zweifel an der Verantwortung lässt, die jedem*jeder Einzelnen zukommt: Wenn wir global
deutlich weniger
Tierprodukte essen und weitaus weniger Lebensmittel verschwenden würden, könnte die gesamte Weltbevölkerung mit ökologisch erzeugten Produkten ernährt
werden!
Im
Zusammenhang mit sozialer Gerechtigkeit dürfen auch die Menschen nicht unerwähnt bleiben, die für all diejenigen die Drecksarbeit machen, die Tierprodukte zwar konsumieren möchten, ihre
Vorgeschichte aber lieber ausblenden. Ein Beispiel sind hier Menschen, die im Schlachthof arbeiten, ihr Geld also mit Gewalt verdienen und dafür von denen, die diese Arbeit letztlich
in Auftrag geben – den Konsument*innen – nicht selten auch noch verachtet werden.
In kaum einem anderen
Land Europas wird so billig geschlachtet wie in Deutschland, was vor allem daran liegt, dass die deutsche Fleischindustrie eine große Zahl an Billiglöhner*innen aus Osteuropa beschäftigt. Die
Corona-Krise hat ein Schlaglicht auf die Arbeitsbedingungen dieser Menschen geworfen – und darauf, dass Schlachthöfe eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen. Auch im
internationalen Fischereiwesen arbeiten Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen. Die sogenannten Seafood-Sklav*innen aus Myanmar beispielsweise tragen einen nicht unerheblichen Teil zu dem
großen Angebot an Fischen und anderen Meerestieren in europäischen und amerikanischen Supermärkten und Restaurants bei. Arbeitsverhältnisse in den Tierindustrien sind also in vielerlei Hinsicht
problematisch (schlechte Bezahlung, ausbeuterische Arbeitsbedingungen etc.), ganz allgemein stellt sich jedoch die Frage, was es über uns aussagt, dass wir es zulassen, dass die Nachfrage
nach Tierprodukten Arbeitsplätze schafft, die Menschen nachweislich gegenüber Gewalt abstumpfen bzw. verrohen lassen.
Würden wir mit diesen Menschen und den unter ihnen leidenden Tieren tauschen wollen?
In diesem Zusammenhang lohnt sich eine Auseinandersetzung mit dem philosophischen Gedankenexperiment „Schleier des Nichtwissens“ des US-amerikanischen Philosophen John Rawls, dessen
Kernfrage lautet: Welche Vision einer zukünftigen Gesellschaft würden wir entwerfen, wenn nicht klar wäre, an welcher Stelle wir in dieser gesellschaftlichen Ordnung stehen? Wenn es in dieser
imaginären Zukunftsgesellschaft keine Schlachthofmitarbeiter*innen, keine Seafood-Sklav*innen und keine Tiere in Intensivtierhaltungsställen gäbe, weil wir uns
selbst nicht vorstellen können und wollen, diese Rollen auszufüllen, dann sollten wir als vernunftbegabte Wesen in der Lage sein, daraus Schlüsse für unser Verhalten in der realen
Gegenwart zu ziehen.
Weiter geht's mit dem Aspekt Ethik/Moral →
Natürlich ist es auch bzw. vor allem eine Frage der Ethik/Moral, ob man ohne Notwendigkeit einen Konsum- bzw. Lebensstil pflegt, der sich auf andere Menschen und die Umwelt / das Klima derart nachteilig auswirkt. Da diese Themen aber bereits behandelt wurden, geht es im nächsten Abschnitt ausschließlich um die Tierethik.