„Und niemals schämt man sich mehr als durch eigene Kinder. Kinder konfrontieren uns mit unseren Paradoxien und Heucheleien, und wir sind ihnen ausgeliefert. Auf jedes ,Warum' muss man eine Antwort finden – Warum tun wir dies? Warum tun wir nicht jenes? – und oft fällt uns keine gute Antwort ein. Also sagt man einfach, darum. Oder man erzählt eine Geschichte, von der man weiß, dass sie nicht stimmt. [...] Die Scham, die wir als Eltern empfinden – und das ist eine gute Scham – kommt von dem Wunsch, dass unsere Kinder unversehrter als wir bleiben und dass sie befriedigende Antworten finden.“
Jonathan Safran Foer, US-amerikanischer Schriftsteller, in „Tiere essen“, 2010
Als Eltern prägen wir die Ernährungsgewohnheiten unserer Kinder und vermitteln ihnen, nicht zuletzt durch unser Vorbild im Bereich der Ernährung, Werte. Denn beim Essen geht es um weit mehr als um bloße Nahrungsaufnahme: Ernährung ist politisch und unser Essverhalten ist ein wichtiger Bestandteil unserer Identität.
„Sag mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist.“
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Botschaften wir aussenden, wenn wir unseren Kindern Fleisch und andere Tierprodukte vorsetzen:
Dass das Recht des Stärkeren gilt, dass Schwächere also nach Lust und Laune behandelt und misshandelt werden können? Dass es ganz normal ist, Tiere nach dem Motto „Katzen und Hunde sind zum Liebhaben da und Schweine und Kühe gehören auf den Teller“ in Kategorien einzuteilen? Dass die süße Katze unsere Liebe und Fürsorge und unser Mitgefühl verdient, dem Fisch, der dem Kindchenschema nicht entspricht, die Fähigkeit zu leiden und das Lebensrecht jedoch bedenkenlos abgesprochen werden können? Dass manche Tiere also Freund*innen sind, andere aber zum Essen da sind und/oder dazu, Nahrungsmittel zu produzieren und/oder andere Konsumgüter zu liefern – je nachdem, wie es dem Menschen beliebt bzw. welchen Nutzen er sich von ihnen verspricht? Dass Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber den Konsequenzen des eigenen Handelns und Konsums, die sich in Aussagen wie „Ich will das alles lieber gar nicht so genau wissen“ etc. widerspiegeln, ok sind? Dass ja gar nicht falsch sein kann, was die Mehrheit tut und was schon immer so war? Dass es viel einfacher ist, die Realität auszublenden und mit der Masse zu schwimmen, als sich kritisch mit dem auseinanderzusetzen, was uns als Norm verkauft wird, und Althergebrachtes zu hinterfragen?
Würde einem Hund oder einem anderen als Haustier klassifizierten Tier Ähnliches angetan wie einem zum Nutztier abgestempeltem Schwein oder Huhn, wären der Aufschrei und das Entsetzen groß.
Wie lässt sich das erklären – und wie kann man das Kindern erklären? Wie kann bei kleinen Kindern ein empathisches Bewusstsein für Tiere ausgebildet und wie können sie zu Respekt gegenüber der
Um- und Mitwelt angeleitet werden, wenn ihnen der Konsum von Fleisch und anderen
Tierprodukten als etwas Normales vorgelebt wird? Wie sollen sie einen Bezug zu gesunder Ernährung bekommen, wenn ihnen „Lebens“mittel vorgesetzt werden, die sie in
den meisten Fällen gar nicht essen würden, wenn ihnen die Zusammenhänge verständlich wären?
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„Wir unterschätzen kleine Kinder sehr gerne.
Selbst Zweijährige verstehen, was ihnen altersgemäß erklärt wird.
Und das ist sehr viel mehr, als die meisten wahrhaben möchten ...
Niemand würde dem eigenen Kind erlauben, ein Vogelküken in den Mixer zu werfen und den Knopf zu drücken. Wieso soll derselbe Vorgang okay sein, nur weil wir ihn nicht in der eigenen Küche
vollziehen, wenn wir Pfannkuchen mit Eiern zubereiten, die sich ganz simpel auch ohne diese herstellen lassen?
Es ist weder notwendig noch schwierig, ein gewaltfreies Vorgehen zu wählen.
Und dabei lassen wir den Kindern nicht einmal die Wahl.
Wir setzen ihnen ohne zu fragen eine Variante als normal vor,
die an Gewalt ihresgleichen suchen muss.
Wieso sollten wir?“
Aus
„Kinder und Tiere – Eine Liebe, die nicht auf dem Teller enden sollte“
von Veganswer
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Die US-amerikanische Psychologin Prof. Dr. Melanie Joy hat der Ideologie, die Menschen zu dieser Form von selektiver Empathie „befähigt“, sie also darauf konditioniert, den Verzehr von bestimmten Tieren und Tierprodukten als natürlich, normal und notwendig anzusehen, mit dem Begriff „Karnismus“ einen Namen gegeben.
Der Karnismus, das genaue Gegenteil des Veganismus, ist eine gewalttätige Ideologie und ein unbewusstes, auf tradierten Verhaltens- und Denkmustern basierendes Wertesystem, das viele nie hinterfragen. Wer sich doch damit auseinandersetzt, gerät in einen inneren Konflikt, wenn das eigene Verhalten nicht den eigenen Werten entspricht – wenn man sich also beispielsweise als Umweltschützer*in, Kämpfer*in für soziale Gerechtigkeit oder Tierfreund*ìn versteht, aber Fleisch und/oder andere Tierprodukte konsumiert. Es muss viel Energie aufgebracht werden, um diese sogenannte kognitive Dissonanz auszuhalten, und es scheint in vielerlei Hinsicht sinnvoller, diese Energie in Verhaltensänderungen zu investieren, um das Konsumverhalten den eigenen Werten anzugleichen und den inneren Konflikt so aufzulösen.
Es kann nicht in unserem Sinne sein, Verhaltens- und Denkmuster an unsere Kinder weiterzugeben, die wir von unseren eigenen Eltern und unserem Umfeld übernommen haben, ohne sie jemals einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Als Eltern sind wir Wertevermittler und damit ist eine immense Verantwortung verbunden: Wenn wir unseren Kindern ein authentisches Vorbild sein möchten, müssen wir uns unserer eigenen Werte bewusst sein und uns selbst und anderen gegenüber begründen können, warum wir sie für wichtig und es für richtig halten, unser Handeln nach ihnen auszurichten – auch dann, wenn es schwierig ist oder wir es als unbequem empfinden.
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